Mag.
Johann Sengstschmid, Prof. i. R. Buchmayrstraße 1/11 A-3100 St. Pölten | Tel.:
+43 (0) 2742 / 38 14 13 E-Mail: johann.sengstschmid@musiker.at |
Elemente der Renaissance- und Barockmusik in der Klangreihenmusik |
Als ich Privatschüler von Othmar Steinbauer war, um bei ihm dessen Klangreihenmusik und dessen satztechnische Grundlage, die Klangreihenlehre, zu studieren, ergab sich häufig folgende Situation: Ich suchte ihn am Nachmittag in der Wiener Musikakademie auf, und hierauf fuhren wir gemeinsam mit der Straßenbahn zu dessen Wohnung in der Eberlgasse, wo die eigentliche Unterweisung stattfand. Bei einer dieser Straßenbahnfahrten erblickten wir einen parkenden Oldtimer. Steinbauer machte auf die äußeren Ähnlichkeiten des Automobils mit einer Pferdekutsche aufmerksam: man bemerkt die beidseitigen Laternen, die Speichenräder, die kutschbockartigen Sitze, das Schirmdach u.v.a.m., doch es fehlt die Deichsel für die Pferde; stattdessen sind Benzinmotor, Lenkrad etc. vorhanden. Da man im neu entwickelten Automobil ein Fortbewegungsmittel wie in der Pferdekutsche erblickte, beließ man das bewährte Alte in ihrer Form und veränderte nur jene Elemente, die das noch nicht Dagewesene im Antrieb ermöglichten. Allerdings wurden neue Kräfte wirksam, und sie erforderten wieder ein Angleichen im Bereich einzelner Formteile. Mit der allmählichen Erzielung immer größerer Geschwindigkeiten mußte vieles Alte an der Form aufgegeben und Neues entwickelt werden, sodaß ein heutiges Auto rein äußerlich nur noch weniges mit einer Pferdekutsche gemeinsam hat. Wäre der Benzinmotor nicht erfunden worden, hätte die Formgestaltung einer heutigen Limousine niemals stattgefunden; oder wäre eine Pferdekutsche mit dem Erscheinungsbild einer heutigen Limousine, jedoch ohne Motor und versehen mit Deichsel und anderen Vorspanneinrichtungen für die Pferde vorstellbar und hätte so etwas von einem modernen Künstler, einem "Kutschendesigner", erdacht werden können? Wohl kaum, denn der Motor, also das Neue in der Antriebskraft, war die Voraussetzung für das natürliche Entstehen der neuen äußeren Form. Für die Musikentwicklung, welche einerseits eine Ausweitung des siebentönigen Tonmaterials zur Zwölftönigkeit und andererseits die Erschließung neuer Harmonien mit sich gebracht hat, gilt etwas ganz Ähnliches: Es geht - so Steinbauer - nicht darum, nach etwas völlig Neuem, also nach einer Art Limousine mit Deichsel, zu streben, sprich: noch nie dagewesene, Aufsehen erregende Musikgestaltungen bei alter tonaler Denkungsweise zu schaffen. Vielmehr gilt es, einen neuen "Motor", also eine neue Sicht der tönenden Ordnung und deren musiktheoretische und satztechnische Grundlage einzusetzen. Diese Ordnung muß freilich einer naturgegebenen organischen Gesetzmäßigkeit entsprechen und nicht einem willkürlich erdachten, jederzeit abänderbaren organisierten Spielregelkonzept. In seiner Denkschrift vom 8. Mai 1935 stellte Steinbauer fest, daß eine Aussage über eine echte Musiktheorie bzw. Satzlehre, sei sie eine alte oder neue, erst dann gemacht werden könne, wenn diese (Zitat:) eingehend daraufhin betrachtet und geprüft wurde, ob in ihr folgende Bedingungen erfüllt erscheinen: |
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| (Diesen Bedingungen sei als weiterer Punkt hinzuzufügen, was Steinbauer anläßlich der Abfassung eines Prospekts 1961 sinngemäß formuliert hat:) |
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Johann Sengstschmid |