Othmar
Steinbauer wurde am 6. November 1895 in Wien geboren. Nach Absolvierung der Pflichtschule
besuchte er die Lehrerbildungsanstalt in Wien XVIII (Michaelerstraße 10) und beschloß
diese Ausbildung mit der Ablegung der Reifeprüfung. Den Beruf des Volksschullehrers
übte Steinbauer aber nie aus. Schon während seiner Schulzeit beschäftigte er sich
mit Musik. Im März 1915 rückte er als Einjährig-Freiwilliger zum Militärdienst
ein und wurde nach Beendigung des Ersten Weltkrieges als Oberleutnant entlassen.
Nun setzte Steinbauer seine Musikstudien fort: er wurde Violinschüler bei Ottokar
Sevcik sowie bei Gottfried Feist; außerdem nahm er Theorieunterricht bei Joseph
Marx und zuletzt bei Arnold
Schönberg. In
den Jahren 1922 und 1923 lebte Steinbauer in Berlin und war dort zunächst als
Theatermusiker tätig. 1923 gründete er mit dem Schönberg-Schüler Max Deutsch die
"Gesellschaft für moderne Musikaufführungen in Berlin" und veranstaltete
in diesem Rahmen eine größere Anzahl sehr erfolgreicher Konzertaufführungen. Da
ihre Weiterführung durch die Inflation in Deutschland unmöglich geworden war,
kehrte er nach Wien zurück. Zwischen 1924 und 1928 erteilte Steinbauer hauptsächlich
Musikunterricht (Violine, Musiktheorie) und beschäftigte sich daneben eingehend
mit musiktheoretischen Fragen. Damals entstand das Buch
"Das Wesen der Tonalität", das 1928 in der C. H. Beckschen Verlagsbuchhandlung
in München im Druck erschien.
Im
Februar 1928 gründete er die "Wiener Kammer-Konzert-Vereinigung", ein
Kammerorchester, das unter seiner Leitung mit großem Erfolg drei Jahre hindurch
in Wien und auch in Deutschland konzertierte. Durch seine Konzerttätigkeit machte
er die Bekanntschaft mit Josef Matthias Hauer. Dieses Zusammentreffen
war entscheidend für Steinbauers weitere künstlerische Wegrichtung
[siehe Fußnote 2]. Es veranlaßte ihn, sich in den
Jahren 1931 bis 1935 hauptsächlich mit Problemen der Musiktheorie sowie der Komposition
zu beschäftigen. Die zu ihrem größten Teil damals entwickelte Satzlehre, welche
erst gegen Ende der fünfziger Jahre die Bezeichnung "Klangreihenlehre"
erhielt, beruht auf den zwölf
Tönen, hat jedoch mit der "Reihentechnik"
jener Musik, welche gemeinhin als "atonal" oder als "Zwölftonmusik"
bezeichnet wird, nichts zu tun. Sie geht in ihren Grundlagen vielmehr auf wesentliche
Erkenntnisse Josef
Matthias Hauers zurück, eröffnet aber durch ihre Gestaltungsprinzipien völlig
andere als die von Hauer selbst beschrittenen Wege. Steinbauers Klangreihensystem
gewährleistet - wie bisher noch jede Satzlehre - sowohl die gesetzmäßige
Bildung der Zusammenklänge und deren Fortschreitungen als auch die volle Freiheit
für die musikalische Gestaltung. In jener Zeit konzipierte Steinbauer eine weitere
Abhandlung, die "Klang- und Meloslehre"; dieses Theoriebuch wurde bis
heute nicht veröffentlicht. Bei seinen ersten Klangreihenkompositionen
verwendete Steinbauer noch die Zwölfton-Notenschrift Josef Matthias Hauers. Da
sich diese jedoch nach den Klaviertasten orientiert, deren Anordnung ja die Siebentönigkeit
zugrunde liegt und daher als "tonartbezogen-chromatisch" anzusehen ist,
erfand Steinbauer damals eine neue, echt "panchromatische" Zwölfton-Notenschrift.
Prof. Dr. Karl Schnürl, dem Fachmann für Notationsfragen an der Wiener Universität,
ist der Hinweis zu verdanken, daß Steinbauer - offensichtlich unabhängig,
denn er hat sich stets als Erfinder jener Notenschrift bezeichnet - zum gleichen
Resultat wie Hugo Riemann gelangt ist, der sein Notationssystem 1882 im "Musikalischen
Wochenblatt" (Leipzig) publiziert hat. Steinbauers Existenzmöglichkeiten
in Wien wurden immer problematischer, und so übersiedelte er 1935 nach Berlin.
Es gelang ihm, eine Anstellung im "Staatlichen Institut für deutsche Musikforschung"
zu erhalten; er wirkte in dem diesem Institut zugehörigen Museum alter Musikinstrumente.
Im Juni 1938 kehrte Steinbauer wieder nach Wien zurück und erhielt den Auftrag,
die "Musikschule der Stadt Wien" (das heutige "Konservatorium der
Stadt Wien") zu leiten. Im Oktober 1938 begann er nach seinen Plänen mit
dem Aufbau dieses Musikinstituts, das schon nach kurzer Zeit ein beachtliches
Niveau erreichte. Es hatte als Berufsausbildungsschule den Rang einer "Landesmusikschule",
war fachlich analog den damaligen "Reichshochschulen für Musik" organisiert
und hatte das Recht, öffentlich gültige Reifezeugnisse auszustellen. Bis zum Studienjahr
1941/42 war auch das "Seminar für Schulmusiker" und das "Seminar
für Privatmusiklehrer" der Schule angegliedert. Im Jahre 1945 wurde Steinbauer
als Direktor
entlassen. Er beschäftigte sich nun hauptsächlich mit kompositorischen und musiktheoretischen
Arbeiten sowie mit der Erteilung von Violinunterricht. Angeregt durch seine frühere
Tätigkeit im Musikinstrumenten-Museum in Berlin und durch die seinerzeit in der
Musikschule der Stadt Wien von ihm veranstalteten Konzerte auf alten Instrumenten,
konstruierte Steinbauer neuartige Streichinstrumente, die er "Viellen"
nannte und die durch ihren sanfteren Klang sowie durch ihre klangliche Ausgeglichenheit
dem Charakter der alten Instrumente nahekommen und dadurch besonders für das häusliche
Musizieren geeignet sind. Für sie wurde ihm ein österreichisches Patent erteilt.
Im Märzheft 1951 der Zeitschrift "Musikerziehung" erschien der von ihm
verfaßte Aufsatz "Die moderne Vielle - Ein neues Streichinstrument für das
häusliche Musizieren". 1952 wurde Steinbauer Lehrer für Violine
an der Wiener Musikakademie. Daneben leitete er an diesem Institut von 1959 bis
1961 den Sonderlehrgang "Klangreihen-Komposition". 1961 erreichte er
die Altersgrenze und schied aus der Musikakademie aus. Um jedoch zu verhindern,
daß sein musiktheoretisches Gedankengut nach seiner Pensionierung in Vergessenheit
geriet, gründete er das "Seminar für Klangreihenkomposition in Wien"
und leitete es bis zu seinem Tod. Gleichzeitig war er in seinem letzten Lebensjahr
als Violinlehrer bei den Wiener Sängerknaben tätig. Seit
vielen Jahren pflegte Steinbauer die schöne Jahreszeit in Altenburg bei Wilhelmsburg,
Niederösterreich, zu verbringen. Im Sommer 1962 wollte er dort die Abfassung seines
"Lehrbuches der Klangreihen-Komposition - Melos und Sinfonie der zwölf Töne"
vorantreiben und möglichst zum Abschluß bringen. Allerdings mutete er sich dabei
zu viel zu; das ständige Pfeifen- und Zigarettenrauchen, der viele Kaffee- und
Teegenuß, das Arbeiten bis tief in die Nacht hinein, das alles belastete seinen
Körper zu sehr, und das Herz tat eines Tages nicht mehr mit. Nach kurzem Leiden
schloß er am 5. September 1962 auf seinem geliebten "Bergl", wie er
seinen Altenburger Aufenthaltsort gerne nannte, für immer die Augen, ohne sein
Buch vollendet zu haben [siehe Fußnote 3]. Der Leichnam wurde nach Wien überführt
und auf dem Grinzinger Friedhof [siehe Fußnote 4] beigesetzt. Steinbauers
Oeuvre
umfaßt über 30 Kompositionen, von denen zu nennen wären: zwei Violinsonaten, eine
Klaviersonate, eine Cembalosonate, Tricinien, Bicinien, Lieder, Chöre u.a. Hat
man einmal die eher seltene Gelegenheit, eines seiner Werke zu hören, dann pflegt
sich ein Eindruck einzustellen, der sich folgendermaßen charakterisieren ließe:
eine sehr gehaltvolle, gut durchgeformte und gekonnte Musik, der man vor allem
das nicht anmerkt, was man im landläufigen Sinn mit "Zwölftonmusik"
assoziiert. Damit gerät sein Schaffen aber in eine eigenartige
Schere: diejenigen, welche Zwölftonmusik generell ablehnen, hegen von vornherein
ein Vorurteil gegen Steinbauer; für die Freunde der Moderne hingegen klingt sein
Werk wiederum zu traditionell. Solange das Musikleben blockartig einerseits von
der Tradition und andererseits von den verschiedenen dazu antithetischen Richtungen
der Avantgarde bestimmt wird, fehlt für die Synthese Steinbauers der Nährboden.
Er, der religiöse Mensch, der in den Werken Bo Yin Ras seine geistige Heimat gefunden
hatte, predigte seinen Schülern immer wieder, daß für das
Neue in der Musik nicht allein eine neue musiktheoretische Basis vonnöten wäre,
vielmehr müßte ein jeder zu sich selbst finden und beginnen, von innen heraus
sein Leben, seine Musik so gewissenhaft wie möglich zu gestalten. |
Fußnote
3 | Inzwischen
erschien Steinbauers Lehrbuch: Helmut
Neumann (Hrsg.): Die Klangreihenkompositionslehre nach Othmar Steinbauer
(1895-1962) 2 Teile, zahlreiche Notenbeispiele; Peter Lang GmbH, Europäischer
Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/M., Berlin, Bern, Brüssel, New York,
Oxford, Wien, 2001, ISBN 3-631-35490-8. (zurück)
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