Mag. Johann Sengstschmid, Prof. i. R.
Buchmayrstraße 1/11
A-3100 St. Pölten
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johann.sengstschmid@musiker.at
 





... damit dieses eine wohlklingende Harmonie gebe
zur Ehre Gottes und zulässiger Ergötzung des Gemüts
und soll wie aller Musik ... Finis und Endursache anders nicht,
als nur zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüths sein.
Wo dieses nicht in acht genommen wird,
da ist's keine eigentliche Musik
sondern ein teuflisches Geplärr und Geleyer.


(J. S. Bach)
 



Wir fordern, daß die Schönheit
in ihre uralten Rechte wiedereingesetzt wird.


(Jörg Mauthe/ Günther Nenning,
aus dem "Schönheitsmanifest", 1984)




Gedanken zu einer bürgerlichen Kulturpolitik




Eine politische Partei, welche der Kunst zu wenig Aufmerksamkeit schenkt, handelt kurzsichtig und gerät unversehens in den Abwärtstrend.

Natürlich dürfte Kunst kein "parteipolitisches Mascherl" im Sinne einer "schwarzen", "roten", "blauen", "grünen" oder "andersfarbigen" Kunst besitzen, wäre also nicht von der festen Hand einer Partei zu gängeln. Doch finden diese oder jene kulturellen und künstlerischen Gesichtspunkte mit differenzierter Akzentuierung in Parteiprogramme Eingang und erfahren entsprechende Pflege und Förderung.

Welche konkreten Gesichtspunkte von politischen Parteien und von den Medien, welche ja auch politisch beeinflußt sind, besonders bevorzugt werden oder unbeachtet bleiben, das hängt einerseits vom Wissensstand und andererseits davon ab, in welchem Menschenbild jene rückverbunden erscheinen. Kulturelle Trennungslinien verlaufen nicht entlang der Parteigrenzen, sondern orientieren sich parteiunabhängig nach dem Menschenbild, doch hindert das die Parteien nicht, ihre kulturelle Schau samt der darin rückverbundenen künstlerischen Grundhaltung schwerpunktmäßig zu formulieren.

Was den Wissensstand betrifft, so hege ich so meine Zweifel, ob zum Beispiel mein künstlerisches Wirken und Wollen gekannt wird. Doch nur was den Verantwortlichen geläufig ist, besitzt die Chance, in Überlegungen einzufließen. Deshalb will ich nachstehend vor allem informieren und meine Ansichten und Visionen darlegen.

Ich bin Komponist, wirkte vor meiner Pensionierung an der Musikhochschule Graz und lebe seit 1950, von einigen berufsbedingten Unterbrechungen abgesehen, in St. Pölten, Niederösterreich. Als Künstler erscheint es mir angebracht, nirgendwo Mitglied einer politischen Partei zu sein und gleichzeitig ein für alle offener Ansprechpartner zu sein.

Bezüglich meiner Weltanschauung huldige ich als praktizierender und betont für Neues aufgeschlossener Katholik, welcher weder einer traditionalistischen noch einer progressistischen kirchlichen Gruppierung angehört, dem biblisch+platonischen Menschenbild, trete dafür ein und stehe linken Ideen - einerlei, ob sie von Marxisten, Sozialdemokraten, linken Flügeln "schwarzer", "grüner" oder "andersfarbiger" Parteien oder Gruppierungen, von Linkskatholiken, von linkslastigen Vereinen, Medien etc. vertreten werden - reserviert gegenüber.

Wer sich ein Bild über mich machen will, besuche meine Homepage und verschaffe sich, was mir noch wesentlicher erscheint, einen ersten Höreindruck . (Hinweis: Um etwas abhören zu können, ist es notwendig, vorher im Internet www.winamp.com oder www.real.com herunterzuladen sowie zu installieren. Dann ist auf der Internetseite das Lautsprechersymbol anzuklicken.)

Aus diesen Unterlagen ist eine gewisse konservative Grundhaltung herauszulesen. Schon der französische Denker Joseph Joubert wußte zu formulieren: "Wer für die Zukunft sorgen will, muß die Vergangenheit mit Ehrfurcht und die Gegenwart mit Mißtrauen aufnehmen"
, und auch Hans Sedlmayr sah im wahren konservativen Prinzip die dauernde Erneuerung des Alten, also genau dessen, was am Früheren erhaltenswert und erneuerungsfähig, was nicht der Vergänglichkeit ausgeliefert, sondern beständig, weil zeitfrei ist; dieses Prinzip hat wohl Gültigkeit für alles geistige Leben.

Versuche, die Vergangenheit in ihrem Brauchtum, mit ihren alten Zeichen und Bildern sowie mit ihrer Kunst wiedererwecken zu wollen, sind zwar lobenswert, aber kulturpolitisch ebensowenig vorrangig wie alles gewiß auch notwendige Museale oder wie die Mode, antiquierte Musik wiederbeleben zu wollen.

"Alte Musik" entspricht zwar scheinbar ob ihrer Spontaneität und Ursprünglichkeit einem Bedürfnis des heutigen - auch des jungen - Menschen mit seiner Sehnsucht nach Ruhe und Harmonie, nach etwas in sich Geschlossenem, Sicherem und Souveränem, nach Zugänglichkeit. Weil ein Verlangen nach einer Musik existiert, die etwas zum Anhalten besitzt, etwas, das in sich ruht, als richtig und schön empfunden wird, und weil die Musik im 20. Jahrhundert scheinbar so etwas nicht bietet, greifen Musikanbieter auf die "Alte Musik" zurück, doch genau das ist eine Ersatzhandlung, ein intuitives Suchen und Finden einer Ersatzbefriedigung. Dabei gäbe es auch im 20. Jahrhundert eine Musik, welche in zwölftöniger Sprache die obigen Bedürfnisse zu befriedigen vermag, nur müßte man sie einmal in all ihren Qualitäten entdecken.

Zwölftönigkeit - in rechter Weise eingesetzt - muß dem vertrauten Schönheitsideal nicht zuwiderlaufen. Wer sich um 7.000 Währungseinheiten etwas Schönes kaufen kann, der bleibt in der Lage, auch um 12.000 noch etwas Schönes zu erhalten; warum soll das in der Musik anders sein? Nach welcher Logik vermag nur Siebentönigkeit eine harmonische Musik zu ermöglichen, während das um fünf Töne reichere Tonmaterial zum Gegenteil führt? Es kommt eben auf die rechte Handhabung an. Hier bestünde ein praktischer kulturpolitischer Handlungsbedarf, geboren aus richtig verstandener konservativer Gesinnung.

Es sollte also nicht so sehr um die schwerpunktmäßige Aufrechterhaltung oder Wiederbelebung des Historischen gehen, sondern vordringlich um die Suche nach dem dem Zeitlosen nicht prinzipiell widersprechenden Neuen sowie um dessen Einsatz dafür, denn das ist zur Veränderung aller Lebensbereiche im positiven Sinne unerläßlich.

Es ist allerorts deutlich zu verspüren, wie sich in den letzten Jahrzehnten zwischen den politischen, religiösen, kulturellen u.a. Lagern schleichend vieles polarisiert hatte, wo zahlreiche Brücken des Einverständnisses und der Toleranz einstürzten, wo zwischen den Lagern Lieblosigkeiten, Gehässigkeiten und Ausgrenzungen wie ein Geschwür aufbrachen und wo dem Trennenden gegenüber dem Verbindenden der Vorrang eingeräumt wurde.

Wenn im privaten Kreis auf derartige deprimierende Gegebenheiten und auf das zugrundeliegende Menschenbild die Sprache kommt, dauert es nicht lange, bis als fatalistische Beschönigung der "ZEITGEIST" beschworen wird, mit dem man sich eben abfinden müsse; doch als Künstler will ich das nicht tatenlos gelten lassen.

Leider pflegt man in der bürgerlichen Politik - im Unterschied zu den linkslastigen Gruppierungen - die Kräfte der Kultur im allgemeinen und die der Kunst im besonderen in ihrer Wirkungsweise fahrlässig zu unterschätzen, doch gerade die Beschaffenheit der künstlerischen Substanz ist es, die zur Prägung des Zeitgeistes mit beiträgt, und dieser Zeitgeist gebiert wieder eine Lebenshaltung, aus der eine von viel Irrationalität getragene kulturelle Gleichgültigkeit resultiert, die schließlich im von materialistischen Zielen beeinflußten Wahlverhalten ihren Niederschlag findet. Der Keim zu alledem wird im Menschen in seiner ersten Lebenszeit gelegt (siehe meine Gedanken über eine bürgerlich-konservative Vorprogrammierung im Säuglingsalter).

Da die heutige Kultur einerseits von oberflächlichen hedonistischen Zielen (Fun-Gesellschaft) und andererseits von der alt gewordenen 68er-Generation, welche ihr Denken aus der kritisch-marxistischen Frankfurter Philosophenschule herleitet, bestimmt wird, entsteht ein dementsprechend inhumanes, abstoßendes Lebensumfeld, in dem sich der MENSCH nicht mehr als EBENBILD GOTTES mit allen Konsequenzen sieht und in dem die platonischen WERTE DES WAHREN, GUTEN UND SCHÖNEN als nicht mehr zeitgemäß gelten - jene Werte also, für welche sich im 20. Jahrhundert nicht nur die pastorale Konstitution des II. Vatikanischen Konzils "Gaudium et spes" (1965) in seinem "2. Kapitel: Die richtige Förderung des kulturellen Fortschritts" (Art. 57: "Glaube und Kultur") ausspricht, sondern auch Papst Johannes Paul II. in seinem Brief an die Künstler (4. April, Ostersonntag 1999), in dem er auf die Berufung des Künstlers im Dienst an der Schönheit, auf die Beziehung zwischen gut und schön u.v.a.m. eingeht.

Es ist ja nicht belanglos, welches Menschenbild das allgemeine Bewußtsein bestimmt. Mit den beiden Stellen aus der Genesis ("Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde; nach dem Bilde Gottes schuf er ihn.") und aus dem 1. Paulusbrief an die Korinther ("Wißt ihr nicht, daß ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn einer den Tempel Gottes zugrunderichtet, so wird Gott ihn zugrunderichten. Denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr.") läßt sich das BIBLISCHE MENSCHENBILD umreißen.

Das dem entgegengesetzte EXPRESSIONISTISCHE MENSCHENBILD ist in einem Gedichtanfang von Klabund treffend mit den Worten umrissen: "Es hat ein Gott mich ausgekotzt, Nun lieg ich da, ein Haufen Dreck...". Seine künstlerische Umsetzung erfolgt durch Gestaltung von Scheußlichkeiten, Provozierendem, Blasphemischem und Obszönem, religiöse und moralische Werte sowie das Ethische oder Ästhetische werden herabgezerrt, dem Kritiker von solch menschenverachtenden Produkten wird ein Mangel an Kunstverständnis unterstellt u.v.a.m.

Die MUSIK - und für diese Sparte will ich nun sprechen - besitzt eine solche Macht, daß sogar Körperfunktionen, wie medizinisch nachgewiesen wurde, positiv oder negativ beeinflußt werden können. So etwa zeigen Hirnuntersuchungen, daß konsonante Harmonien bevorzugt im Hörzentrum verarbeitet werden, und zwar in Regionen, die auch aktiv beim Sprechen und Singen mitwirken; dagegen werden bei Disharmonien andere Hirnregionen stärker aktiviert, beispielsweise die Amygdala, also jene Region, die auch für Entstehung der Angst und die emotionale Bewertung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren zuständig ist. Speziell in der Filmmusik wissen deren Komponisten diese oder jene Stilmittel gezielt einzusetzen. Allgemein gesagt: es kommt in der Musik mit ihrer atmosphärebildenden Kraft darauf an, welche Art von Rhythmik, Harmonik, Melodik und Gestaltung dem jeweiligen
Menschen- und Weltbild entspricht.

Tonalität und Siebentönigkeit würden sowohl ein konsonantes als auch ein dissonantes Klangbild gleichermaßen zulassen, aber die tonal-siebentönigen Satzlehren regeln das Zustandekommen eines konsonanten Klangbildes. Analoges gilt für die Atonalität und Zwölftönigkeit: auch sie lassen grundsätzlich ein konsonantes und ein dissonantes Klangbild gleichermaßen zu.

Es kann doch niemals in der bloßen Erweiterung des musikalischen Materials von der tonartgebundenen Siebentönigkeit zur Zwölftönigkeit begründet sein, daß gemäß der Parole "Emanzipation der (harten) Dissonanz" dem übelklingenden Getön jener Platz eingeräumt wird, den bei der traditionellen tonalen Gestaltung der "Wohlklang" innehatte; wenn dies aber dennoch geschieht, dann zeigt das nur, daß mit den zwölf Tönen nicht mit jener analogen klanglichen Einstellung bzw. Sorgfalt verfahren wird wie früher mit den sieben Tönen, und zwar entweder deshalb nicht, weil man auf Grund diverser - meist außermusikalischer - Ziele das Schrille, das Geräuschähnliche, das Bizarre, das Extravagante, das Hysterische, das ins Unterbewußtsein Verdrängte, das Triebhafte, das Schockierende, das Angst und Entsetzen Erregende, das Drohende, das Katastrophale, das Chaotische, das Häßliche, das Fratzenhafte, das Verzerrte, das Diabolische u.ä. zur Gestaltung bringen wollte, oder weil man mangels einer echten sowie brauchbaren zwölftönigen Satzlehre den harmonischen Bereich zu wenig oder gar nicht zu bewältigen vermochte. Im übrigen sei nicht übersehen, daß sich auch mit nur sieben Tönen übelklingende Effekte - wenn auch nicht so extreme wie mit zwölf Tönen - erzeugen ließen.

Welche Art von Klangbild - ein vorwiegend konsonantes oder ein dissonantes - in der Musik gewollt wird, hängt von den Intentionen des Künstlers und auch von der Erwartungshaltung des Publikums ab. Warum gestaltete etwa Joseph Haydn den Beginn seiner "Schöpfung" (Darstellung des Chaos) nicht drastischer? Er hätte gewiß auch anders gekonnt, doch es galt eine Einstellung, aus der etwa W. A. Mozart Worte fand wie: "Die Leidenschaften, heftig oder nicht, müssen niemals bis zum Ekel ausgedrückt sein, und die Musik auch in der schaudervollsten Lage niemals das Ohr beleidigen, sondern doch dabei vergnüglich, folglich allzeit Musik bleiben."

Der Expressionist Arnold Schönberg dagegen proklamierte die Emanzipation der Dissonanz und meinte damit die EMANZIPATION DER HARTEN DISSONANZ: Während früher eine Dissonanz als Fremdkörper in einem konsonanten Umfeld vorzubereiten und aufzulösen war, ist nun - in Umkehrung der Werte - in einem dissonanten Umfeld eine Konsonanz (wie der Dreiklang) als Fremdkörper vorzubereiten und aufzulösen. Die Dissonanz wird zum SPIEGELBILD DES KLABUNDSCHEN MENSCHENBILDES.

Es ist ein "Verdienst" Schönbergs und seiner Schule (1. Wiener Zwölftonschule), in Atonalität und Zwölftönigkeit die Dissonanz hineingetragen und so nachhaltig verankert zu haben, daß nach allgemeiner Meinung das Klangbild der atonalen bzw. zwölftönigen Musik dissonant ist. Das kommt einer Diskriminierung der Zwölftonidee gleich, denn viele haben es aufgegeben, im Zeitgenössischen eine wohlklingende Harmonie zu erwarten.

Zwölftönig konzipiert sind schließlich auch das völlig anders - nämlich harmonisch - klingende ZWÖLFTONSPIEL sowie die KLANGREIHENMUSIK, beide in Wien entstanden (2. und 3. Wiener Zwölftonschule). Indem ihre getrübt-konsonante bzw. mild-dissonante Akkordwelt, wie man sie bereits in der spätromantischen Tristan-Harmonik Wagners, in der impressionistischen Klangwelt, in den Jazz- und Unterhaltungsmusikakkorden des 20. Jahrhunderts u.a.m. wiederfindet, auch vor Laienohren zu bestehen vermag (dafür ein Beleg), ist sie es, mit deren Hilfe sich die Werte der traditionellen Musik aufgreifen und mit neuen Mitteln ausfüllen lassen. Zum Beweis höre man in Beispiele hinein, welche über die Internetseite Werkeinspielungen im Internet zu finden sind.

Damit ist die GESTALTUNG EINER NEUEN MUSIK im Sinne des biblisch+platonischen Menschenbildes von der Harmonik her möglich geworden. Von Wien ausgehend eroberte die Dissonanz die Welt (Schönberg-Schule), und aus Wien könnte zukunftsorientiert, also ohne Rückgriff auf die Vergangenheit, deren Überwindung und Heilung kommen (Klangreihenmusik, siehe auch Hinweis).

Es kommt gerade heute darauf an, welchen Stellenwert die zu bejahenden oder verneinenden Werke im Kunstannehmenden besitzen oder besitzen sollten, denn die Weise der künstlerischen Substanz ist es, die zur Prägung des Zeitgeistes mit beiträgt, und die Art des Zeitgeistes fördert oder behindert die Lebensqualität.

Der KUNST, einerlei, um welche Sparte es sich handelt, kommt im Dienste einer kulturellen Neubesinnung eine bedeutende Rolle zu, da sie nicht nur auf das Gemüt einwirkt und so ein verinnerlichtes Umfeld nährt oder vergiftet, sondern sogar die Gehirnstruktur des Menschen vor und in der ersten Zeit nach der Geburt irreversibel vernetzt (siehe die bereits erwähnten Gedanken über eine bürgerlich-konservative Vorprogrammierung im Säuglingsalter).

Wem eine bürgerlich geprägte Zukunft am Herzen liegt, dürfte seine Förderung nur mit größtem Vorbehalt einem Kunstschaffenden zuwenden, der ein bloßer kritischer, anklagender Seismograph gegenwärtiger Übelstände sein will; vielmehr sollte er seine Gunst einem solchen Künstler widmen, dem die Gabe gegeben ist, ZUKÜNFTIGES VORAUSZUEMPFINDEN und aus seinen Visionen heraus zu gestalten.

Und wer, wie politische sowie mediale Verantwortungsträger, vor der Zukunft moralische Verpflichtungen besitzt, müßte darum besorgt sein, daß im kulturellen Bereich eine Scheidung der Geister vorgenommen und geprüft wird, inwieweit die Früchte der künstlerischen Schau einer neuen Lesart der biblischen+platonischen Werte entspringen und den Zeitgeist konstruktiv oder destruktiv mitprägen. Das gilt nicht zuletzt für die MUSIK:

Infolge ihrer atmosphäreerzeugenden und identitätsbildenden Kraft kommt es darauf an, welche Art von Rhythmik, Harmonik, Melodik und Gestaltung sich in das politische Konzept einfügt, denn wie sehr jene zum emotionalen Katalysator zu werden vermag, mögen einige ausgewählte Beispiele aus dem kirchlichen und weltlichen Bereich belegen:


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Spezielle Richtungen der Musik waren es, aus denen atmosphärisch der süßliche Kitsch-Katholizismus der vorkonziliaren Zeit genährt wurde, sodaß man pointiert sagen kann, sentimentaler Kirchenkitsch ist religiöses Lebensgefühl jener Epoche.

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Spezielle Richtungen der Musik waren es, aus denen atmosphärisch die Jugendbewegungen der "vor-68er-Generation" ("Wandervogel" u.a.) ihre Kraft schöpften; Wander- und Lagerfeuerlieder entsprachen ihrem Lebensgefühl.

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Andere spezielle Richtungen der Musik waren es, aus denen atmosphärisch die Bewegung des Nationalsozialismus vorbereitet und getragen wurde; Marschmusik wurde zum Lebensgefühl des Dritten Reiches.

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Wieder andere spezielle Richtungen der Musik waren und sind es, welche atmosphärisch die Erotisierung unserer Zeit bewirkten und bewirken; Schlager, Jazz, Rock, Pop u.a. sind primär weniger Musik denn Lebensgefühl.

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Nochmals andere spezielle Richtungen der Musik waren und sind es, welche atmosphärisch den Progressismus in der Kirche tragen; so sind die gehetzt-fetzig heruntergedroschenen traditionellen Kirchenlieder, die solcherart ihres sakralen Charakters beraubt werden, und vor allem aber die rhythmischen Kirchengesänge (samt dem orgelverdrängenden Gitarrespieler) weniger eine auf Andacht hinzielende Musik denn Lebensgefühl des "fortschrittsgläubigen Elements", das blind-fanatisch verfochten wird.

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Und die Klangreihenmusik könnte dazu verhelfen, atmosphärisch ein ebenfalls neues Lebensgefühl, eine Neukultivierung und Neuevangelisierung vorzubereiten und auszulösen.

Unwillkürlich kommt einem jene Stelle aus Platons "Staat" in den Sinn, in welcher der Philosoph von der "Musik" spricht, wobei diese Bezeichnung im griechischen Altertum zunächst im weiteren Sinn die Gesamtheit der musischen Künste und erst im engeren Sinn die Tonkunst ausdrückt: Im Gemeinwesen ist das Äußere des Menschen - seine Haar- und Barttracht, seine Gewandung, seine Beschuhung, die Mode - ebenso von Bedeutung wie die Art der "Musik". Eine neue Art von "Musik" einzuführen würde das Gesamte unter Druck setzen; man rüttelt nicht an den Weisen der "Musik", ohne daß die wichtigsten Grundlagen des Staates mit erschüttert würden. Daraus läßt sich aber umgekehrt folgern: Strebt man einen Wandel des Zeitgeistes an, dann verändere man die "Musik", also die musischen Künste.

Heute, an der Schnittstelle zwischen alten und neuen Anschauungen, wo wir vieles erlöschen sehen und neue Aufbrüche ausmachen können, heute gilt es, zwischen Traditionalistischem und Progressivem eine zukunftsorientierte ausbalancierte Haltung einzunehmen, die den wertvollen Aspekten beider antipodischen Denkweisen gerecht wird. Das Traditionelle beinhaltet einerseits zeitlos gültige Werte, andererseits unterliegt vieles dem Zeitgeschmack und erweist sich als überkommen. Umgekehrt bietet das Fortschrittliche (Progressistische, Avantgardistische etc.) zahlreiche bejahenswerte Innovationen, aber es ist auch viel Überzogenes dabei, das abzulehnen ist. Und da würde die KLANGREIHENMUSIK einen für alle akzeptierbaren Weg der Mitte und Ausgewogenheit beschreiten. Auch wenn die Welt sehr intolerant geworden ist, lebt die Hoffnung fort, daß auf lange Sicht gesehen das Gute für sich spricht. Leider ist heute alles so laut und medienverseucht, "daß man die Stillen nicht schweigen hört" (wie der befreundete Dichter Walter Sachs sinngemäß einmal sagte), und deshalb wird es noch geraume Zeit dauern, bis "stillere" Qualitäten ins allgemeine Bewußtsein einsickern.

So wird es durchaus begreiflich, daß gar mancher von Klangreihenmusik noch nichts gehört hat und dann bei der Begegnung mit deren wohlklingender Zwölftonharmonik positiv überrascht ist. Der in Wr. Neustadt (Niederösterreich) geborene und in Wien beheimatet gewesene JOSEF MATTHIAS HAUER hatte bereits 1919 die Gesetze der Zwölftonharmonik entdeckt, und mein Lehrer OTHMAR STEINBAUER (ein Wiener, der viele Jahre in Wilhelmsburg/Altenburg auf Sommerfrische weilte und dort 1962 auch verstarb) war es, der ab 1930 jene Hauersche, auf Wohlklang beruhende Akkordwelt zu einer zwölftönigen Kompositionstechnik (der sogenannten "KLANGREIHENLEHRE") ausbaute. Nach ihr wurde es endlich möglich, schönklingende melodische und dennoch zwölftönige, also neuartige Musikwerke zu schaffen. Der renommierte Musikpublizist Walter Szmolyan sprach vor vielen Jahren von einer 3. WIENER ZWÖLFTONSCHULE (neben jener von Schönberg und Hauer) und nannte meinen Lehrer Steinbauer als deren Begründer.

Gewiß, der darauf aufbauende Musikstil entspricht zumeist nicht dem "heutigen" Zeitgeist mit seinem Menschenbild, das Klabund so trefflich charakterisierte, sondern er ist vielmehr in einem konservativ beeinflußten sowie humanistisch oder gar religiös fundierten Weltbild verankert - ein Umstand, der heutzutage bei den Meinungsmachern als unmodern gilt. Als Beweis dafür möge man die viele Klangreihenmusik klingend auf sich wirken lassen und prüfen, inwieweit sie geeignet ist, eine WENDE DES ZEITGEISTES zugunsten des biblisch+platonischen Menschenbildes einzuleiten. Für einen ersten Eindruck würde sich etwa folgende, in Internet anklickbare Hörauswahl empfehlen:
 

Das aufrüttelnde Gedicht "Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus" von Bert Brecht, das zwar aus gesellschaftspolitischer Zielrichtung linker Natur entstanden ist, erweist sich - wenn man nur den Mittelteil herausnimmt - von erschreckender allgemeingültiger Aktualität. Jener besagte Abschnitt lautet:
 


...
Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Am Dache
Leckte die Flamme. Ich ging hinaus und bemerkte
Daß noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief ihnen
Zu, daß Feuer im Dach sei, sie also auffordernd
Schnell hinauszugehen. Aber die Leute
Schienen nicht eilig. Einer fragte mich
Während ihm schon die Hitze die Braue versengte
Wie es draußen denn sei, ob es auch nicht regne
Ob nicht doch Wind gehe, ob da ein anderes Haus sei
Und so noch einiges. Ohne zu antworten
Ging ich wieder hinaus. Diese dachte ich
Müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören. Wirklich, Freunde
Wem der Boden noch nicht so heiß ist, daß er ihn lieber
Mit jedem andern vertauschte, als daß er da bliebe, dem
Habe ich nichts zu sagen. ...


Das brennende Haus bürgerlicher Kultur benötigte dringendst die rechte Atmosphäre-prägende Musik, welche durch häufige Pflege allmählich in das Bewußtsein einsickert, und das obige Musikangebot, vorurteilsfrei angenommen, könnte da sehr hilfreich sein. Allerdings sei bedacht, daß sich der wahre Wert erst über das Ohr erschließt.

Die Zeit ist noch nie stehengeblieben, jede Epoche besitzt ihre eigenen sowie neuen künstlerischen Ausdrucksformen. Es geht nur darum, ob der vielen Irrwege zu resignieren und beim Alten verbleibend abzuwarten (Pflege alter Musik als Ersatzhandlung), oder doch an die Möglichkeit eines neuen geeigneten Weges zu glauben, ihn bei seiner Begegnung aufzugreifen und nicht "Bewohner eines brennenden Hauses" (nach Brecht) zu bleiben, sondern dem Gestrüpp praktizierter Lieblosigkeit, Intoleranz und Gehässigkeit missionarisch entgegenzuwirken.

Bei jedem einzelnen, aber ganz besonders bei politischen Verantwortungsträgern und bei medialen Multiplikatoren, wäre es ein Gebot der Stunde, aus dem dumpfen Gleichschritt eines Lemmings in den Abgrund auszubrechen. Es müßte endlich ein Nachdenk- und Umdenkprozeß in der Kunst- und Kulturpolitik einsetzen, der sich aber nicht in kritischen Negativ-Aussagen erschöpft, sondern der ein ernsthaftes Suchen nach positiven Auswegen samt ideelem und medialem Beistand initiiert. Es gilt, nicht gegen, sondern für etwas einzutreten, und wofür man eintreten sollte, das wäre zu suchen.

Ernsthaftes Suchen führt vielleicht zum Finden, und im Glücksfall trifft auf das Gefundene sogar das Wort von Victor Hugo zu: "Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist." Wer sagt, ob nicht die Klangreihenmusik eine solche musikalische Idee ist, deren Zeit unaufhaltsam im Kommen ist?

Für mich ist es ein Qualitätskriterium für einen Politiker, ob er engstirnig in Legislaturperioden denkt oder ob er ein Suchender mit der "richtigen Nase" für Zukunftsträchtiges ist, das seinem Grundkonzept dienlich sein könnte.






Johann Sengstschmid





Weiterführende Informationen in Wort und Ton:
 


Links
Klangreihenmusik (Gesamtüberblick)
Die 3 Wiener Zwölftonschulen (Gegenüberstellung)
Die 3 Wiener Zwölftonschulen in je einem Hörbeispiel
Einführung in die Klangreihenmusik
Eigenschaften der Klangreihenmusik
Klangreihenmusik: Musik mit neuer "Antriebskraft"
Elemente der Renaissance- und Barockmusik in der Klangreihenmusik

Allgemeines zur Klangreihen-Kompositionstechnik
Besinnliche Klangreihenmusik für stille Stunden

Othmar Steinbauers Leben und Werk in Wort und Ton
Johann Sengstschmids Leben und Werk in Wort und Ton
Wiedergabe von Noten (Verzeichnis)
Blätter aus dem Theorieskriptum (Verzeichnis)
Fachbegriffe (alphabetisches Stichwortverzeichnis)
www.klangreihenmusik.at
Hinweis auf die Klangreihenmusik
Gedanken über eine bürgerlich-konservative Vorprogrammierung im Säuglingsalter






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