Mag. Johann Sengstschmid, Prof. i. R.
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Lärm ist ... nur eines der Übel unserer Zeit, wenn auch vielleicht das auffälligste. Die anderen sind Grammophon, Radio und neuerdings die verheerende Television. Ich bin von einer Lehrerorganisation angefragt worden, woher es komme, daß heutzutage trotz besserer Ernährung das Lehrprogramm der Elementarschule nicht mehr erfüllt werden könne. Die Antwort ist: Konzentrationsmangel, zu viele Ablenkungsreize. Viele Kinder machen ihre Aufgaben unter Radiobegleitung. (...) Der Lärm ist willkommen, denn er übertönt die innere instinktive Warnung. Wer sich fürchtet, sucht laute Gesellschaft und tosenden Lärm, ... (...) Der Lärm gibt ein Sicherheitsgefühl, wie die Volksmenge; daher liebt man ihn und scheut sich, etwas dagegen zu tun, denn man fühlt instinktiv den apotropäischen [apotropäisch = Unheil abwehrend] Zauber, der von ihm ausgeht. Der Lärm schützt uns vor peinlichem Nachdenken, er zerstreut ängstliche Träume, er versichert uns, daß wir ja alle zusammen seien und ein solches Getöse veranlassen, daß niemand es wagt, uns anzugreifen. (...) ... wir hätten den Lärm nicht, wenn wir ihn nicht heimlich wollten. Er ist nicht bloß ungelegen oder gar schädlich, sondern ein uneingestandenes und unverstandenes Mittel zum Zweck, nämlich eine Kompensation der Angst, für die nur allzu reichlich Gründe vorliegen. In der Stille nämlich würde die Angst den Menschen zum Nachdenken veranlassen, und es ist gar nicht abzusehen, was einem dann alles zum Bewußtsein käme. Die meisten Menschen fürchten die Stille, darum muß immer, wenn das beständige Geräusch, z. B. einer Unterhaltung, aufhört, etwas getan, gesagt, gepfiffen, gesungen, gehustet oder gemurmelt werden. Das Bedürfnis nach Geräusch ist beinahe unersättlich, wenn schon bisweilen der Lärm unerträglich wird. Er ist aber doch immerhin besser als gar nichts. In der bezeichnenderweise sogenannten "Totenstille" wird es unheimlich. Warum? Gehen etwa Gespenster um? Dies wohl kaum. Das, was in Wirklichkeit gefürchtet wird, ist das, was vom eigenen Inneren kommen könnte, nämlich all das, was man sich durch Lärm vom Halse gehalten hat.
 

(C. G. Jung)




Gedanken über eine
bürgerlich-konservative Vorprogrammierung
im Säuglingsalter





Wie der Biochemiker, Krebsforscher und Umweltfachmann FREDERIC VESTER in seinem Buch "DENKEN, LERNEN, VERGESSEN" (Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1975; für den Fernsehfilm gleichen Titels erhielt der Autor 1974 den Adolf-Grimme-Preis, 1975 wurde er mit der Umweltschutzmedaille ausgezeichnet) darlegt, arbeitet jeder Mensch sein ganzes Leben lang mit genau denselben Gehirnzellen und deren Verknüpfungen, die er sehr frühzeitig, nämlich bis zum Säuglingsalter, entwickelt hat. Die enorme Bedeutung dieser Feststellung tritt zutage, wenn man sich folgende Tatsachen vor Augen führt:

Die einzelnen Gehirnzellen sind untereinander durch ein kompliziertes Netz von Querverbindungen verfasert. Allerdings befindet sich zwischen den Gehirnzellen und den Endknöpfchen der Nervenfasern, die die Querverbindungen herstellen, ein winziger Spalt, der beide voneinander trennt und der die Funktion einer Schaltstelle besitzt, wo Impulse weitergegeben werden oder nicht. Etwa 500 Billionen solcher Schaltstellen sorgen dafür, daß Menschen gezielt zu denken vermögen, daß sie sich erinnern können, daß Assoziationsfelder entstehen etc. etc.

Eine gewisse Anzahl von Schaltstellen wird vor und in der ersten Zeit nach der Geburt fest verbunden, also "verlötet", Synapsen entstehen. Welche Schaltstellen das sind, richtet sich nach der Erbmasse, nach den Informationen im Mutterleib sowie nach jenen innerhalb der ersten Lebenswochen. Diese Zeit ist jene Periode im menschlichen Leben, in der bei der Ausbildung des Gehirns die äußeren Einflüsse (Wahrnehmungen durch die Sinnesorgane etc.) ihren direkten Niederschlag in anatomischen Veränderungen finden: Je nach Beschaffenheit der ersten Umwelt wachsen die Gehirnzellen anders und werden anders zu einem Grundmuster im Gehirn verdrahtet. Das erste Schmecken, Riechen, Tasten, Fühlen, Sehen, Hören etc., und dazu gehört auch das ab etwa der 20. Schwangerschaftswoche zu beobachtende Reagieren auf Rhythmen und Melodien, das alles wird also fest gespeichert; es wirkt prägend für die restliche Lebenszeit, denn es formt irreversibel ein Grundnetz im Gehirn aus, das von Mensch zu Mensch verschieden ist.

Noch im Säuglingsalter schließt die Ausbildung der Gehirnzellen und deren feste Verknüpfung ab. Nach Vollendung des Gehirnwachstums einige Wochen nach der Geburt nimmt die Zahl der Gehirnzellen kaum mehr zu, und die Verdrahtung der Zellen wird nicht mehr wesentlich dichter. Der Mensch ist für sein Leben vorprogrammiert.

Später eintreffende Informationen der Außenwelt werden vor der Pubertät kaum noch verdrahtet. Vielmehr versucht der vorpubertäre Mensch, die neuen Wahrnehmungen in irgendeiner Form an jenes skeletthafte Grundnetz der ersten Lebenszeit "aufzuhängen" und daran die subtileren, weicheren Formgerüste aufzubauen, die nicht mehr durch Wachstum weiterer Gehirnzellen sowie durch fixe Verknüpfungen entstehen. Jene späteren Informationen werden entlang jenes Grundnetzes über mehrere Stufen in stofflich gespeicherte kodifizierte Erinnerungen übergeführt, wobei die Verknüpfungen der ersten Lebenstage wie Wegweiser wirken. Erst die Pubertät bringt etwa ab dem 10. Lebensjahr eine Veränderung des Synapsen-Netzes. Zahlreiche Synapsen gehen verloren, während die verbleibenden Verbindungen verstärkt werden und effektiver arbeiten. Dadurch entscheidet sich, welche Fähigkeiten sich weiterentwickeln. Was man in der Pubertät gelernt hat, wird bestimmend für das weitere Leben.

Da also in den allerersten Erdentagen sowie zur Zeit der Pubertät die äußeren Einflüsse die Beschaffenheit des Gehirns endgültig festlegen und den Menschen vorprogrammieren, fällt in diese Zeit auch die Entscheidung darüber, ob eine bürgerlich-konservative Erziehung in späteren Lebensabschnitten eine geeignete Resonanz im jeweiligen Grundmuster findet und sich problemlos einordnen läßt oder nicht.

Doch durch welche Wahrnehmungen wird das Gehirn das angestrebte Bildungsziel fördernd oder hemmend vorprogrammiert?

Natürlich hat die Gesamtatmosphäre des "Nestes" samt seines Umfeldes (dreiköpfige oder vielköpfige, intakte, zerstrittene oder zerbrochene Familie, alleinerziehende Mutter, Lebensgemeinschaft, Wohngemeinschaft, wechselnde Partner oder Bezugspersonen, Herumreichen zwischen Mutter, Großmutter, Tagesmutter etc.) irgendwie prägende Wirkung im beschriebenen Sinn, doch davon sei hier nicht die Rede. Vielmehr sei auf ein Moment, das vielfach übersehen und unterschätzt wird, näher eingegangen.

Heutzutage ertragen viele Menschen die Stille nicht mehr und sind geradezu "süchtig nach Musikberieselung". Sie baden oft stundenlang via Medien (Heimradio, Autoradio, Fernsehen, Walkman etc.) in Rhythmen und Klängen, wobei sich der Bogen überwiegend von der seichten, geschmacklosen Unterhaltungsmusik über die erotisch aufgeladene Amüsiermusik bis zur aggressiven Pop- und Rockmusik spannt, während der Normal-Berieselte das Wertvolle eher weniger zu hören pflegt.

Das alles dringt natürlich über das nicht abschaltbare Ohr auch zum Gehirn des werdenden Menschen, des Säuglings, des Kindes, des Heranwachsenden, und es wäre einmal einer wissenschaftlichen Untersuchung wert, ob nicht das frühzeitigere Pubertieren, das Überhandnehmen sexueller Zügellosigkeiten, das aggressive Verhalten von Jugendlichen, die Geschmacklosigkeiten in musikalischen Fragen u.v.a.m. deshalb auf so große Resonanz stoßen, weil im Grundmuster des Säuglingsgehirns infolge entsprechender Dauerbeschallung die zuständigen Schaltstellen für alle Zeit bis zum Tod derart fest verlötet worden sind, daß der viele Musikkonsum der Kinderzeit prägend für das ganze Leben wirkt (Langzeitgedächtnis) und den Zeitgeist bestimmt (siehe meine Gedanken zu einer bürgerlichen Kulturpolitik).

Einerlei, ob sich jene Hypothese nachweisen läßt oder nicht: auf jeden Fall könnte ein günstiger vernetztes Gehirn entstehen, wenn man dem Säugling sowie dem Pubertierenden einerseits die akustische Dauerberieselung erspart und andererseits seinen Ohren gezielt etwas bietet, das etwas für die Zukunft Prägendes beinhaltet. In unserem von Medien dominierten Zeitalter dürfte dies kaum auf Schwierigkeiten stoßen.

Erste Informationen vermögen also vor allem über das Ohr des Säuglings zum Gehirn vorzudringen, etwa durch akustisches Dabeisein beim Tun der Erwachsenen. Ist Eltern und Miterziehern, die ihre Kinder lieben, einmal die Tragweite jener ersten Informationen über das Ohr wirklich bewußt gemacht worden, würden sie sicher alles tun, um dem Nachwuchs das Bestmögliche mit auf den Lebensweg zu geben. Sie könnten etwa an die frühere Wiegenlied-Situation anschließen und von Zeit zu Zeit eine beispielsweise ruhig dahinfließende, verinnerlichte Musik ertönen lassen.

Hier läge hier für Familienpolitiker ein großes brachliegendes Aufgabenfeld bereit. Bei fachlich-musikalischer Überforderung vermögen sie Musikexperten zu konsultieren und die Informationen an ratsuchende Eltern weiterzuempfehlen.

Im überreichen Musikschatz unserer Vergangenheit sind viele geeignete Werke zu finden, ohne daß man in die geschmacksverbildende "Süß-Kitsch-Falle" tappt.
Auch wenn höchste Kunst zeitlos ist und somit immer aktuell bleibt, entspräche einer gegenwartsbewußten Lebensgestaltung eine passende zeitgemäße Musiksprache. Als solche empfiehlt sich vor allem die Klangreihenmusik mit ihrer harmonischen Tonsprache (dafür ein Beleg). Als ruhig dahinfließendes Tönen ließe sich etwa folgende, im Internet anklickbare Musikauswahl anführen, wobei man zum Abhören ein entsprechendes Programm kostenlos aus dem Internet herunterzuladen und zu installieren vermag (zum Beispiel www.winamp.com oder www.real.com):
 

Johann Sengstschmid: 1. Satz aus den "Sieben kleinen Klavierstücken in Spiegelform,
Othmar Steinbauer: Chor "Halt an, wo läufst du hin",
Johann Sengstschmid: 1. Satz aus der "Rosette für drei Blockflöten",
Johann Sengstschmid: 2. Satz aus der "Rosette für drei Blockflöten",
Johann Sengstschmid: 3. Satz aus der "Rosette für drei Blockflöten"
,

Johann Sengstschmid: 4. Satz aus der "Rosette für drei Blockflöten",
Johann Sengstschmid: 5. Satz aus der "Rosette für drei Blockflöten"
,
Josef Matthias Hauer: Zwölftonspiel (1954) für Violine und Klavier,

Johann Sengstschmid: 3. Satz aus der "Rosette zu drei Stimmen",
Johann Sengstschmid: 7. Satz aus der "Rosette zu drei Stimmen",
Johann Sengstschmid: 9. Satz aus der "Rosette zu drei Stimmen",
Othmar Steinbauer: 1. Satz aus der "Sonate Nr. 1 für Violine und Klavier,
Johann Sengstschmid: Introitus aus dem "Duo liturgico",
Johann Sengstschmid: Graduale aus dem "Duo liturgico",
Johann Sengstschmid: Communio aus dem "Duo liturgico",
Othmar Steinbauer: Präludium aus "Präludium und Wechselfuge für Orgel",
Johann Sengstschmid: Nr. 3 aus den "Zwölf Rubato-Stückchen für Flöte solo",
Johann Sengstschmid: Nr. 4 aus den "Zwölf Rubato-Stückchen für Flöte solo",
Johann Sengstschmid: Nr. 6 aus den "Zwölf Rubato-Stückchen für Flöte solo",

Johann Sengstschmid: Nr. 9 aus den "Zwölf Rubato-Stückchen für Flöte solo",
Johann Sengstschmid: 3. Satz aus der "Rosette für Violine und Klavier",

Othmar Steinbauer: Nr. 1 aus den "Sechs Bicinien" für Blockflöten,
Othmar Steinbauer: Nr. 4 aus den "Sechs Bicinien" für Blockflöten,
Johann Sengstschmid: Meditation für Altsaxophon und Orgel,
Johann Sengstschmid: Meditation für Violine und Klavier,
Othmar Steinbauer: 1. Satz aus den "Sechs Tricinien für das Orgelpositiv",
Othmar Steinbauer: 2. Satz aus den "Sechs Tricinien für das Orgelpositiv",
Othmar Steinbauer: 3. Satz aus den "Sechs Tricinien für das Orgelpositiv",
Othmar Steinbauer: 4. Satz aus den "Sechs Tricinien für das Orgelpositiv",
Othmar Steinbauer: 5. Satz aus den "Sechs Tricinien für das Orgelpositiv",
Othmar Steinbauer: 6. Satz aus den "Sechs Tricinien für das Orgelpositiv",
Johann Sengstschmid: 3. Satz (Meditation) aus der Suite für Saxophonquartett,
Othmar Steinbauer: 1. Satz aus der "Sonate für Clavicembalo",
Othmar Steinbauer: 4. Satz aus der "Sonate für Clavicembalo",
Johann Sengstschmid: 3. Satz aus der "Kleinen Festmusik für Bläser",
Johann Sengstschmid: Gebet (P. Rupert Mayer) für Gesang und Klavier.

Eine solche Hinweissammlung möge vielleicht neugierig machen, doch ihr wahrer Wert erschließt sich erst durch tatsächliches Hineinhören in jene zumeist meditative Musik, welche als moderne Form der Besinnung eine Änderung des Zeitgeistes initiieren könnte.

Und wenn vielerorts die Orientierungslosigkeit und die Exzesse von Jugendlichen sowie das Fehlen von Idealen beklagt werden, dann sei bedacht, daß eine der Wurzeln in einer im Säuglings- sowie Pubertätsalter vorprogrammierten Gehirnstruktur liegt, welche die Bezugspersonen der ersten Lebenszeit zu verantworten haben.





Johann Sengstschmid


Anmerkung: Der eingangs zitierte Text von C. G. Jung entstammt einem Brief vom September 1957 an Prof. Karl Oftinger, Zürich. Er findet sich vollständig abgedruckt in: "C. G. Jung, Briefe, Dritter Band 1956-1961", Walter-Verlag Olten und Freiburg im Breisgau, 1973.





Weiterführende Informationen in Wort und Ton:
 


Links
Klangreihenmusik (Gesamtüberblick)
Die 3 Wiener Zwölftonschulen (Gegenüberstellung)
Die 3 Wiener Zwölftonschulen in je einem Hörbeispiel
Einführung in die Klangreihenmusik

Eigenschaften der Klangreihenmusik
Klangreihenmusik: Musik mit neuer "Antriebskraft"
Elemente der Renaissance- und Barockmusik in der Klangreihenmusik

Allgemeines zur Klangreihen-Kompositionstechnik
Othmar Steinbauers Leben und Werk in Wort und Ton
Johann Sengstschmids Leben und Werk in Wort und Ton
Wiedergabe von Noten (Verzeichnis)
Blätter aus dem Theorieskriptum (Verzeichnis)
Fachbegriffe (alphabetisches Stichwortverzeichnis)
www.klangreihenmusik.at
Hinweis auf die Klangreihenmusik






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