Mag.
Johann Sengstschmid, Prof. i. R. Buchmayrstraße 1/11 A-3100 St. Pölten | Tel.:
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Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach) |
Lärm ist ... nur eines der Übel unserer Zeit, wenn auch vielleicht das auffälligste. Die anderen sind Grammophon, Radio und neuerdings die verheerende Television. Ich bin von einer Lehrerorganisation angefragt worden, woher es komme, daß heutzutage trotz besserer Ernährung das Lehrprogramm der Elementarschule nicht mehr erfüllt werden könne. Die Antwort ist: Konzentrationsmangel, zu viele Ablenkungsreize. Viele Kinder machen ihre Aufgaben unter Radiobegleitung. (...) Der Lärm ist willkommen, denn er übertönt die innere instinktive Warnung. Wer sich fürchtet, sucht laute Gesellschaft und tosenden Lärm, ... (...) Der Lärm gibt ein Sicherheitsgefühl, wie die Volksmenge; daher liebt man ihn und scheut sich, etwas dagegen zu tun, denn man fühlt instinktiv den apotropäischen [apotropäisch = Unheil abwehrend] Zauber, der von ihm ausgeht. Der Lärm schützt uns vor peinlichem Nachdenken, er zerstreut ängstliche Träume, er versichert uns, daß wir ja alle zusammen seien und ein solches Getöse veranlassen, daß niemand es wagt, uns anzugreifen. (...) ... wir hätten den Lärm nicht, wenn wir ihn nicht heimlich wollten. Er ist nicht bloß ungelegen oder gar schädlich, sondern ein uneingestandenes und unverstandenes Mittel zum Zweck, nämlich eine Kompensation der Angst, für die nur allzu reichlich Gründe vorliegen. In der Stille nämlich würde die Angst den Menschen zum Nachdenken veranlassen, und es ist gar nicht abzusehen, was einem dann alles zum Bewußtsein käme. Die meisten Menschen fürchten die Stille, darum muß immer, wenn das beständige Geräusch, z. B. einer Unterhaltung, aufhört, etwas getan, gesagt, gepfiffen, gesungen, gehustet oder gemurmelt werden. Das Bedürfnis nach Geräusch ist beinahe unersättlich, wenn schon bisweilen der Lärm unerträglich wird. Er ist aber doch immerhin besser als gar nichts. In der bezeichnenderweise sogenannten "Totenstille" wird es unheimlich. Warum? Gehen etwa Gespenster um? Dies wohl kaum. Das, was in Wirklichkeit gefürchtet wird, ist das, was vom eigenen Inneren kommen könnte, nämlich all das, was man sich durch Lärm vom Halse gehalten hat. |
(C. G. Jung) |
Gedanken über eine religiöse Vorprogrammierung im Säuglingsalter | |
Wie der Biochemiker, Krebsforscher und Umweltfachmann FREDERIC VESTER in seinem Buch "DENKEN, LERNEN, VERGESSEN" (Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, 1975; für den Fernsehfilm gleichen Titels erhielt der Autor 1974 den Adolf-Grimme-Preis, 1975 wurde er mit der Umweltschutzmedaille ausgezeichnet) darlegt, arbeitet jeder Mensch sein ganzes Leben lang mit genau denselben Gehirnzellen und deren Verknüpfungen, die er sehr frühzeitig, nämlich bis zum Säuglingsalter, entwickelt hat. Die enorme Bedeutung dieser Feststellung tritt zutage, wenn man sich folgende Tatsachen vor Augen führt: Die einzelnen Gehirnzellen sind untereinander durch ein kompliziertes Netz von Querverbindungen verfasert. Allerdings befindet sich zwischen den Gehirnzellen und den Endknöpfchen der Nervenfasern, die die Querverbindungen herstellen, ein winziger Spalt, der beide voneinander trennt und der die Funktion einer Schaltstelle besitzt, wo Impulse weitergegeben werden oder nicht. Etwa 500 Billionen solcher Schaltstellen sorgen dafür, daß Menschen gezielt zu denken vermögen, daß sie sich erinnern können, daß Assoziationsfelder entstehen etc. etc. Eine gewisse Anzahl von Schaltstellen wird vor und in der ersten Zeit nach der Geburt fest verbunden, also "verlötet", Synapsen entstehen. Welche Schaltstellen das sind, richtet sich nach der Erbmasse, nach den Informationen im Mutterleib sowie nach jenen innerhalb der ersten Lebenswochen. Diese Zeit ist jene Periode im menschlichen Leben, in der bei der Ausbildung des Gehirns die äußeren Einflüsse (Wahrnehmungen durch die Sinnesorgane etc.) ihren direkten Niederschlag in anatomischen Veränderungen finden: Je nach Beschaffenheit der ersten Umwelt wachsen die Gehirnzellen anders und werden anders zu einem Grundmuster im Gehirn verdrahtet. Das erste Schmecken, Riechen, Tasten, Fühlen, Sehen, Hören etc., und dazu gehört auch das ab etwa der 20. Schwangerschaftswoche zu beobachtende Reagieren auf Rhythmen und Melodien, das alles wird also fest gespeichert; es wirkt prägend für die restliche Lebenszeit, denn es formt irreversibel ein Grundnetz im Gehirn aus, das von Mensch zu Mensch verschieden ist. Noch im Säuglingsalter schließt die Ausbildung der Gehirnzellen und deren feste Verknüpfung ab. Nach Vollendung des Gehirnwachstums einige Wochen nach der Geburt nimmt die Zahl der Gehirnzellen kaum mehr zu, und die Verdrahtung der Zellen wird nicht mehr wesentlich dichter. Der Mensch ist für sein Leben vorprogrammiert. Später eintreffende Informationen der Außenwelt werden vor der Pubertät kaum noch verdrahtet. Vielmehr versucht der vorpubertäte Mensch, die neuen Wahrnehmungen in irgendeiner Form an jenes skeletthafte Grundnetz der ersten Lebenszeit "aufzuhängen" und daran die subtileren, weicheren Formgerüste aufzubauen, die nicht mehr durch Wachstum weiterer Gehirnzellen sowie durch fixe Verknüpfungen entstehen. Jene späteren Informationen werden entlang jenes Grundnetzes über mehrere Stufen in stofflich gespeicherte kodifizierte Erinnerungen übergeführt, wobei die Verknüpfungen der ersten Lebenstage wie Wegweiser wirken. Erst die Pubertät bringt etwa ab dem 10. Lebensjahr eine Veränderung des Synapsen-Netzes. Zahlreiche Synapsen gehen verloren, während die verbleibenden Verbindungen verstärkt werden und effektiver arbeiten. Dadurch entscheidet sich, welche Fähigkeiten sich weiterentwickeln. Was man in der Pubertät gelernt hat, wird bestimmend für das weitere Leben. Da also in den allerersten Erdentagen sowie zur Zeit der Pubertät die äußeren Einflüsse die Beschaffenheit des Gehirns endgültig festlegen und den Menschen vorprogrammieren, fällt in diesen Lebensabschnitten auch die Entscheidung darüber, ob die religiöse Erziehung in späteren Lebensabschnitten eine geeignete Resonanz im jeweiligen Grundmuster findet und sich problemlos einordnen läßt oder nicht. Doch durch welche Wahrnehmungen wird das Gehirn religionsfördernd oder religionshemmend vorprogrammiert? Natürlich hat die religiöse oder atheistische Gesamtatmosphäre des "Nestes" samt seines Umfeldes (dreiköpfige oder vielköpfige, intakte, zerstrittene oder zerbrochene Familie, alleinerziehende Mutter, Lebensgemeinschaft, Wohngemeinschaft, wechselnde Partner oder Bezugspersonen, Herumreichen zwischen Mutter, Großmutter, Tagesmutter etc.) irgendwie prägende Wirkung im beschriebenen Sinn, doch davon sei hier nicht die Rede. Vielmehr sei auf ein Moment, das vielfach übersehen und unterschätzt wird, näher eingegangen. Heutzutage ertragen viele Menschen die Stille nicht mehr und sind geradezu "süchtig nach Musikberieselung". Sie baden oft stundenlang via Medien (Heimradio, Autoradio, Fernsehen, Walkman etc.) in Rhythmen und Klängen, wobei sich der Bogen überwiegend von der seichten, geschmacklosen Unterhaltungsmusik über die erotisch aufgeladene Amüsiermusik bis zur aggressiven Pop- und Rockmusik spannt, während der Normal-Berieselte das Wertvolle eher weniger zu hören pflegt. Das alles dringt natürlich über das nicht abschaltbare Ohr auch zum Gehirn des werdenden Menschen, des Säuglings, des Kindes, des Heranwachsenden, und es wäre einmal einer wissenschaftlichen Untersuchung wert, ob nicht das frühzeitigere Pubertieren, das Überhandnehmen sexueller Zügellosigkeiten, das aggressive Verhalten von Jugendlichen, die Geschmacklosigkeiten in musikalischen, auch in kirchenmusikalischen Fragen u.v.a.m. deshalb auf so große Resonanz stoßen, weil im Grundmuster des Säuglingsgehirns infolge entsprechender Dauerbeschallung die zuständigen Schaltstellen für alle Zeit bis zum Tod derart fest verlötet worden sind, daß der viele Musikkonsum der Kinderzeit prägend für das ganze Leben wirkt (Langzeitgedächtnis) und den Zeitgeist bestimmt (siehe meinen Beitrag Neuevangelisierung und Musik). Einerlei, ob sich jene Hypothese nachweisen läßt oder nicht: auf jeden Fall könnte ein günstiger vernetztes Gehirn entstehen, wenn man dem Säugling sowie dem Pubertierenden einerseits die akustische Dauerberieselung erspart und andererseits seinen Ohren gezielt etwas bietet, das etwas für die Zukunft Prägendes beinhaltet. In unserem von Medien dominierten Zeitalter dürfte dies kaum auf Schwierigkeiten stoßen. Erste religiöse Informationen vermögen also vor allem über das Ohr des Säuglings zum Gehirn vorzudringen, etwa durch akustisches Dabeisein beim gemeinsamen Familiengebet, sofern es überhaupt noch gepflegt wird, aber auch dadurch, daß man an die frühere Wiegenlied-Situation anschließt und von Zeit zu Zeit eine beispielsweise ruhig dahinfließende, verinnerlichte, ja gebethafte Musik ertönen läßt. In Hinblick auf eine Neuevangelisierung läge hier für Seelsorger, aber auch für christliche Familienpolitiker, ein großes brachliegendes Aufgabenfeld bereit. Bei fachlich-musikalischer Überforderung können sich diese ja von Musikexperten beraten lassen und die Informationen an gläubige Eltern weiterempfehlen. Sie, die ihre Kinder lieben und ihnen das Bestmögliche auf den Lebensweg mitgeben wollen, werden für die Umsetzung solcher Anregungen sicherlich aufgeschlossen sein, wenn sie über die Tragweite jener ersten religiösen Informationen über das Ohr aufgeklärt würden. Im überreichen Musikschatz unserer Vergangenheit sind viele geeignete Werke zu finden, ohne daß man in die geschmacksverbildende "Süß-Kitsch-Falle" tappt. Auch wenn höchste Kunst zeitlos ist und somit immer aktuell bleibt, entspräche einer gegenwartsbewußten Lebensgestaltung eine passende zeitgemäße Musiksprache, was ja auch im Sinne etwa der katholischen Kirche liegt, die nach eigener Aussage (2. Vatikanisches Konzil, Liturgie-Konstitution) "alle Formen wahrer Kunst, welche die erforderlichen Eigenschaften besitzen", billigt und im Kapitel Kirchenmusik den heiligen Papst Pius X nennt, jenen Papst also, welcher in seinem Motu proprio (1903) die Worte fand: "Die Kirche hat allezeit den Fortschritt der Künste gefördert und begünstigt." (Näheres dazu enthält das Vorwort zu meiner MISSA "ADORAMUS TE".) Als zeitgemäße Musiksprache empfiehlt sich vor allem die Klangreihenmusik mit ihrer harmonischen Tonsprache (dafür ein Beleg). Als ruhig dahinfließendes, meditatives Tönen ließe sich etwa folgende, im Internet anklickbare Musikauswahl anführen, wobei man zum Abhören ein entsprechendes Programm kostenlos aus dem Internet herunterzuladen und zu installieren vermag (zum Beispiel www.winamp.com oder www.real.com): |
Eine solche Hinweissammlung möge vielleicht neugierig machen, doch ihr wahrer Wert erschließt sich erst durch tatsächliches Hineinhören in jene zumeist meditative Musik, welche als moderne Andachtsform eine Neubelebung des eigentlich ziemlich darniederliegenden Gebetslebens initiieren könnte. Und wenn vielerorts der Rückgang geistlicher Berufe beklagt wird, dann sei bedacht, daß eine der Wurzeln in einer im Säuglings- sowie Pubertätsalter vorprogrammierten Gehirnstruktur liegt, welche einen Ruf von oben auf steinigen Boden fallen oder gar nicht mehr wahrnehmen läßt. Prof. Amadeo Cencini, Rom, stellte einmal fest, daß eine Seelsorgestrategie, welche die Dimension der Berufung zum geistlichen Stand nicht umfaßt, in Wirklichkeit keine Seelsorge ist und folglich nicht wirksam sein kann; und der polnische Bischof Stefan Regmunt forderte, daß die Berufungspastoral fest in einem Konzept der Neuevangelisierung integriert zu sein hat. Man vergesse nicht, daß schon Plato in seinem "Staat" feststellte, daß im Gemeinwesen das Äußere des Menschen - seine Haar- und Barttracht, seine Gewandung, seine Beschuhung, die Mode - ebenso von Bedeutung ist wie die Art der "Musik"; man rüttelt nicht an der "Musik", ohne daß die wichtigsten Grundlagen des Staates mit erschüttert würden. Daraus läßt sich aber umgekehrt folgern: Strebt man einen Wandel des Zeitgeistes an, will man also ein neues, auch für geistliche Berufungen aufgeschlossenes Lebensgefühl, eine Neukultivierung, eine Neuevangelisierung, dann verändere man - pointiert ausgedrückt - die "Musik". Wenn man die oben erörterten Wirkungen der Musik ernst nimmt, dann wäre der gesamte Komplex "Musik in Alltag und Kirche" neu zu überdenken und in der Seelsorge entsprechend zu positionieren. |
Johann Sengstschmid |